OGH 2 Ob 175/14w
Schmerzengeld, Zukunftsängs- und Todesängste
1. Das Schmerzengeld ist die Genugtuung für alles Ungemach, das der Geschädigte infolge seiner Verletzungen und ihrer Folgen zu erdulden hat. Es soll den Gesamtkomplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und die Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzungen und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands abgelten und die durch Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen. Das Schmerzengeld ist nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für alles Ungemach, das der Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, grundsätzlich global festzusetzen (2 Ob 105/09v mwN; Danzl in Danzl/Gutièrrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld10 68). Tendenziell erscheint es geboten, das Schmerzengeld nicht zu knapp zu bemessen (Danzl aaO 72; RIS-Justiz RS0031075 [T4]; 2 Ob 242/09s; 2 Ob 83/14s). In die Globalbemessung des Schmerzengelds sind neben den bereits erlittenen Schmerzen auch künftige, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwartende körperliche und seelische Schmerzen einzubeziehen (2 Ob 261/04b; 2 Ob 78/05t; 2 Ob 101/05z; 2 Ob 240/10y). Unter diesem Gesichtspunkt kann etwa auch das Bewusstsein eines die gewohnte Lebensgestaltung nachhaltig beeinflussenden Dauerschadens und die damit verbundene seelische Belastung sowie das Gefühl der Todesangst bei der Bemessung des Schmerzengelds in Betracht zu ziehen sein (vgl Danzl aaO 155 f).
2. Das Berufungsgericht hat zutreffend aufgezeigt, dass nach bisheriger Rechtsprechung die Zuerkennung von Schmerzengeld etwa in der Höhe der hier vom Erstgericht vorgenommenen Zumessung häufig im Fall von Lähmungen oder hirnorganischen Psychosyndromen erfolgte. So wurde in der Entscheidung 2 Ob 104/06t (ZVR 2006/157 [Danzl]) für einen zwanzigjährigen Mann mit schwerem Schädelhirntrauma samt (nahezu) apallischem Syndrom (Wachkoma) mit Lähmung aller Extremitäten und ohne sprachliche Äußerungsmöglichkeit ein Schmerzengeld von 180.000 EUR für angemessen erachtet. Mit der Entscheidung 2 Ob 180/04s (ZVR 2004/113 [Danzl]) wurde der zum Unfallszeitpunkt 41 Jahre alten Klägerin für ein schwerstes Schädelhirntrauma mit Gehirnquetschung, Hirnödem, Mittelgesichtsfraktur, Nasenbeinfraktur, Abknicktrauma der Halswirbelsäule, Tetraspastik mit Verkürzung der Muskulatur, schwerste Gehbehinderungen und 100 % Minderung der Erwerbsfähigkeit ohne Besserungsaussicht ein Schmerzengeldbetrag von 160.000 EUR zuerkannt.
3.1. Im vorliegenden Fall leidet die Klägerin zwar weder an vergleichbaren Gehirnschäden bzw Lähmungen, jedoch fällt hier besonders die Dauerfolge der sklerosierenden Cholangitis mit der Problematik des ungewissen Wartens auf eine Spenderleber und die damit im Zusammenhang stehende ständige Todesangst ins Gewicht.
3.2. Der gegenständliche Fall ist aber auch dadurch ganz wesentlich geprägt, dass die Klägerin durch den Unfall aus einem besonders sportlich aktiven Leben gerissen wurde und nunmehr neben der massiven Beeinträchtigung ihres Allgemeinzustands – der ihr seit diesem lebenseinschneidenden Ereignis jegliche sportliche (aber auch sexuell-partnerschaftliche) Aktivitäten verunmöglicht und dessen wahrscheinliche Verschlechterung allenfalls sogar dazu führen wird, dass ihr in Zukunft auch das Gehen unmöglich sein wird – in einer zeitlich unbegrenzten ständigen Unsicherheit wegen des Zustands ihrer Leber und deren voraussichtlich erforderlicher Transplantation lebt. Diese Umstände, insbesondere die zeitlich unbegrenzte Todesangst, rechtfertigen eine erhebliche Erhöhung des vom Berufungsgericht ausgemessenen Schmerzengelds. Diese Zukunfts- und Todesangst, die als „seelisch bedingter Folgeschaden der Verletzungshandlung“ (vgl Danzl aaO 154) ersatzfähig ist, liegt hier in einem zeitlich besonders ausgedehnten Ausmaß vor und stellt damit ebenfalls eine in die Schmerzengeldbemessung einfließende, ganz wesentliche Verletzungsfolge dar.
4.1. Die Zuerkennung höherer Beträge im Vergleich zu früheren Schmerzengeldzusprüchen ist einerseits aufgrund der inflationsbedingten Geldentwertung (vgl 3 Ob 128/11m = ZVR 2012/129 [Ch. Huber]) und andererseits aufgrund der oben zu 1. zitierten Rechtsprechung, wonach das Schmerzengeld tendenziell nicht zu knapp zu bemessen ist (zuletzt 2 Ob 83/14s), gerechtfertigt.
4.2. Der Senat hat kürzlich in dieser zuletzt zitierten Entscheidung 2 Ob 83/14s im Zusammenhang mit einer Klägerin, die von einem Traktoranhänger überrollt wurde und einen ausgedehnten Weichteilverlust vom Unterbauch bis zu den Oberschenkeln und zahlreiche Knochenbrüche im Beckenbereich erlitten hatte, samt zahlreicher Operationen und Rehabilitationen, einem künstlichen Darmausgang und Rückoperation, Gefühllosigkeit im Unterleib und dauerhaften starken Schmerzen trotz starker Medikamente (mit dadurch verursachter Opiatabhängigkeit), reaktiver Depression und posttraumatischer Belastungsstörung, ein Teilschmerzengeld von 170.000 EUR für vertretbar erachtet.
5. Im Lichte dieser jüngeren Rechtsprechung hält der Senat im konkreten Fall den begehrten Schmerzengeldbetrag von 130.000 EUR im Rahmen der Globalbemessung für angemessen.
6. Der Verfahrensrüge der Klägerin ist entgegen zu halten, dass ein Vorbehalt der Kostenentscheidung bis zur rechtskräftigen Erledigung der Streitsache nicht anfechtbar ist (§ 52 Abs 1 ZPO). Die Tatsache, dass sich das Berufungsgericht nicht mit der Anfechtung der Kostenentscheidung erster Instanz auseinandersetzte, ist keine mit Revision bekämpfbare Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (RIS-Justiz RS0042966; zur Unanfechtbarkeit von Kostenentscheidungen im Revisionsverfahren siehe § 528 Abs 2 Z 3 ZPO iVm RIS-Justiz RS0007695 uva).