In einer kürzlich ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidung des OGH musste sich dieser mit der Rechtsfrage befassen, ob ein erwachsener Sohn für den durch einen grob fahrlässigen Behandlungsfehler verursachten Tod seiner Mutter vertragliche Schadensersatzansprüche aus dem Behandlungsvertrag der Mutter mit dem Rechtsträger der Krankenanstalt in Form von Schmerzengeld/Trauerschmerzengeld und Begräbniskosten geltend machen kann.
Grundsätzlich macht eine Vertragsverletzung nur dem Vertragspartner gegenüber ersatzpflichtig. Nach der Rechtsprechung bestehen Schutz- und Sorgfaltspflichten aus einem Vertragsverhältnis aber nicht nur zwischen den unmittelbaren Vertragsparteien, sondern auch gegenüber dritten Personen, die durch die Vertragserfüllung erkennbar in erhöhtem Maß gefährdet werden und der Interessensphäre eines Vertragspartners angehören. Begünstigt sind Dritte, deren Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung bei Vertragsabschluss vorhersehbar war, die also der vertraglichen Leistung nahestehen und die der Vertragspartner des Hauptleistungspflichtigen erkennbar durch Zuwendung der Hauptleistung begünstigte, an denen er ein sichtbares eigenes Interesse hat oder denen er selbst offensichtlich rechtlich zur Fürsorge verpflichtet ist
Nach diesen Grundsätzen wertete der Oberste Gerichtshof den Schmerzengeld für einen Trauerschaden mit Krankheitswert begehrenden Ehegatten einer Patientin als eine der Leistung aus dem ärztlichen Behandlungsvertrag nahestehende Person, sofern die Lebensgemeinschaft aufrecht war und keine Hinweise auf eine bereits eingetretene Entfremdung bestanden (9 Ob 83/09k). Auch Lebensgefährten werden unter diesen Voraussetzungen von der Rechtsprechung zum Kreis der von einem Behandlungsvertrag geschützten Dritten gezählt (1 Ob 153/20m).Ebenso wurde bereits ausgesprochen, dass auch unmündige Kinder grundsätzlich in den Schutzbereich des Behandlungsvertrags ihrer Mutter mit einem Arzt einbezogen werden können (5 Ob 82/23d).
Hingegen geht die Rechtsprechung bei erwachsenen und annähernd erwachsenen Geschwistern nicht von einer typischen, für Dritte erkennbaren objektiven typisierten Nahebeziehung aus, die die Einbeziehung in den Schutzbereich eines fremden Behandlungsvertrags rechtfertigt, auch wenn sie noch im gemeinsamen Haushalt leben oder eine innige Gefühlsgemeinschaft, die über die übliche Beziehung zwischen erwachsenen Geschwistern hinausgeht, bestand (7 Ob 105/17t; 4 Ob 176/19i).
Ausgehend von dieser bereits bestehenden höchstgerichtlichen Rechtsprechung war sohin vom OGH zu klären, auch zwischen einem bereits erwachsenen Kind und einem Elternteil die Voraussetzungen für Schadensersatzansprüche bei Behandlungsfehler vorliegen oder dadurch die Gefahr einer uferlosen Haftung gegenüber dritten Personen, welche nicht dem Behandlungsvertrag angehören, steht.
Nachstehender Sachverhalt lag dieser OGH -Entscheidung zugrunde:
„Die 1933 geborene Mutter des Klägers wurde nach Einlieferung durch die Rettung am Nachmittag des 16. 3. 2021 an der orthopädischen Abteilung des Landesklinikums G*, dessen Rechtsträgerin die Beklagte ist, ambulant untersucht. Nachdem sie wieder in häusliche Pflege entlassen worden war, verstarb sie zu Hause noch am selben Abend. Eine Entlassung in häusliche Pflege ohne weitere Abklärung anderer Symptome war fachlich falsch. Die bloße Abklärung orthopädischer Ursachen ohne weitere notfallmedizinische Abklärung, obwohl Anzeichen und Symptome für eine koronare Erkrankung bestanden, war fachlich nicht richtig. Zwischen dem Kläger und seiner Mutter bestand zeitlebens ein besonderes Naheverhältnis und eine enge Gefühlsbeziehung. Der nicht im Haushalt der Mutter lebende Kläger verbrachte jedenfalls seit dem Tod seines Vaters 2014 durchschnittlich drei Tage pro Woche im Haus seiner Mutter und übernachtete auch dort. Er leistete ihr nicht nur sozialen Kontakt und bot Unterstützung im Haushalt, sondern kümmerte sich auch um sonstige Arbeiten, die sie nicht mehr verrichten konnte und half bis zu dessen Tod auch bei der Pflege des Vaters.“
Aufgrund nachstehender Argumente hat der OGH dem Kläger/Sohn aufgrund des grob fahrlässigen Behandlungsfehlers, durch welchen seine Mutter verstarb, Trauerschmerzengeld in der Höhe von EUR 15.000 sowie die Begräbniskosten im vollen Umfang zugesprochen:
Zur Beurteilung der Frage, ob der Kläger zu dem durch den Behandlungsvertrag geschützten Personenkreis gehört, ist eine generalisierende objektive Betrachtung erforderlich, die gewährleistet, dass für den Vertragspartner das Naheverhältnis des Dritten zur Vertragsleistung vorhersehbar und offensichtlich ist (so bereits 4 Ob 176/19i). Für die Beurteilung des begünstigten Personenkreises ist somit maßgebend, dass bei objektivem Verständnis typischerweise, bei üblichen Sozialstrukturen, eine auffallende innige familiäre Nahebeziehung zu erwarten ist, sodass der aus dem Vertrag Hauptleistungspflichtige mit der Einbeziehung der fraglichen Personengruppe in den geschützten Personenkreis rechnen musste (6 Ob 241/21s).
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist bei einer generalisierenden Betrachtungsweise und bei objektivem Verständnis typischerweise, bei üblichen Sozialstrukturen, eine auffallende innige familiäre Nahebeziehung zwischen Eltern und ihren (wenn auch bereits erwachsenen) Kindern zu erwarten. Nachdem es sich dabei um die Kernfamilie handelt, besteht auch nicht die von der Beklagten befürchtete Gefahr einer uferlosen Haftung gegenüber Dritten. Es ist für die Beklagte als Spitalsbetreiberin auch nicht unvorhersehbar, dass auch ältere Patienten Kinder haben können, zu denen eine lebenslange innige familiäre Nahebeziehung besteht.
Auch wenn zwischen einer 87-jährigen Mutter und einem 65-jährigen Sohn typischerweise keine Unterhaltspflicht mehr besteht, ist auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 137 ABGB zu verweisen, wonach zwischen Eltern und Kindern ein lebenslang andauerndes Rechtsband mit wechselseitigen Rechten und Pflichten besteht und die gegenseitige Pflicht einander beizustehen auch für volljährige Kinder gilt (RS0009634).
Schon aufgrund der üblichen Sozialstrukturen ist bei generalisierender Betrachtung in der Regel auch zwischen erwachsenen Eltern und Kindern noch eine innige familiäre Nahebeziehung zu erwarten und ist somit zu Recht der Kläger/Sohn in den Schutzbereich des Behandlungsvertrags seiner Mutter mit der Spitalsbetreiberin einzubeziehen.
Als persönliche Anmerkung zu dieser wichtigen Entscheidung des OGH erlaube ich mir auszuführen, dass grob fahrlässige Behandlungsfehler äußerst selten vorkommen. Aus meiner langjährigen Praxis als Vertreter von durch Behandlungsfehler oder durch unterlassener Patientenaufklärung geschädigter Patienten ist oft der Nachweis der leichten Fahrlässigkeit, diese ist bereits haftungsbegründend, schon sehr schwer und nur durch Einholung von entsprechenden SV-Gutachten zu erbringen. Der Schuldvorwurf im Rahmen eines Behandlungsfehlers in Form einer groben Fahrlässigkeit stellt die Ausnahme dar.
Es stellt sich sohin die berechtigte Frage, welche Schadensersatzansprüche der (erwachsene) Sohn der verstorbenen Mutter bei Vorliegen eines Behandlungsfehlers von (nur) leichter Fahrlässigkeit geltend machen kann und welche Schadensersatzansprüche bestehen, wenn die Mutter durch den fahrlässigen oder leicht fahrlässigen Behandlungsfehler mit schwersten Schädigungen (Querschnittslähmungen, massive Hirnschädigungen) im Sinne eines lebenslangen Pflegebedarfes überlebt.
Bleibt es bei der „normalen“ Trauerreaktion, dann spricht man von „bloßen“ Trauerschmerzen. Ein solcher Seelenschmerz über den Verlust eines nahen Angehörigen, der zu keiner eigenen Gesundheitsschädigung iSd § 1325 ABGB geführt hat, ist nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz des Schädigers auszugleichen.
Grobe Fahrlässigkeit ist immer dann anzunehmen, wenn eine ungewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht vorliegt und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich voraussehbar ist (vgl RS0030644; RS0030477; RS0030438). Das Verhalten des Schädigers muss sich dabei aus der Menge der sich auch für den Sorgsamsten nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens als eine auffallende Sorglosigkeit herausheben (RS0030477 [T24]). Es muss sich um einen objektiv besonders schweren Sorgfaltsverstoß handeln, der bei Würdigung aller Umstände des Falls auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (RS0030272).
Trauer ist die typische Reaktion, die beim Tod oder einer sehr schweren Verletzung eines nahestehenden Menschen zu erleiden und zu bewältigen ist. Wenn ein solcher Verlust oder die schwere Verletzung nicht mehr mit der normalen Trauerreaktion verarbeitet werden und die Grenze zur krankheitswertigen psychischen Gesundheitsbeeinträchtigung überschritten wird, dh wenn Trauer iS einer pathologischen Trauerreaktion krank macht und ein ärztlicher Behandlungsbedarf besteht, kann der Ausgleich der damit verbundenen Leiden vom Schädiger verlangt werden. Durch das Erleiden eines „Nervenschadens“ sind nämlich diese Personen in ihrem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und als unmittelbar Geschädigte anzusehen. Die Rechtsprechung spricht auch von Schockschäden mit Krankheitswert.
Als Zwischenergebnis ist sohin zum Schadensersatzanspruch Schmerzengeld festzuhalten, dass auch bereits bei leichter Fahrlässigkeit ein Anspruch auf Schmerzengeld dann besteht, wenn der durch den Behandlungsfehler leicht fahrlässig herbeigeführte Tod der Mutter beim (erwachsenen) Sohn zu einer krankheitswertigen psychischen Beeinträchtigung führte. Erfahrungsgemäß kann diese krankheitswertige psychische Beeinträchtigung im Gerichtsverfahren durch Behandlungsnachweise von Psychiatern/Psychologen objektiviert werden. Die Bemessung der Höhe des Schmerzengeldes stellt eine rechtliche Beurteilung dar, üblicherweise wird dazu auch ein SV-Gutachten aus dem Fachbereich für Psychiatrie eingeholt.
Der Ersatz eines Schockschadens mit Krankheitswert wird über Tötungsdelikte hinaus insbesondere auch bei schwerster Verletzung naher Angehöriger bejaht. Schwerste Verletzungen sind solche, bei denen dauernde Pflegebedürftigkeit besteht wie zum Beispiel bei Querschnittslähmungen oder schweren Hirnschädigungen. Für den gegenständlichen Sachverhalt ergibt sich für den Fall eines derartigen Behandlungsfehlers, dass Anspruch auf Trauerschmerzengeld bei groben Behandlungsfehler und Anspruch auf Schmerzengeld bei krankheitswertiger psychischer Beeinträchtigung auch bei Vorliegen von (nur) leichter Fahrlässigkeit besteht.
Klarstellend ist festzuhalten, dass diese unterschiedlichen Voraussetzungen für Trauerschmerzengeld bei Vorliegen von nur grober Fahrlässigkeit und Schockschaden-Schmerzengeld bereits bei leichter Fahrlässigkeit nur bei der Position Schmerzengeld zur Anwendung gelangt, bei sämtlichen anderen Ansprüchen wie Begräbniskosten, Pflegeosten etc. ist bereits der Schuldvorwurf in Form von nur leichter Fahrlässigkeit ausreichend.