OGH 07.06.2016, 10 Ob 89/15h
Das Schmerzengeld ist die Genugtuung für alles Ungemach, das der Geschädigte infolge seiner Verletzungen, hier der Beeinträchtigung aufgrund der ärztlichen Fehlbehandlung, und ihrer Folgen zu erdulden hat. Es soll den Gesamtkomplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und die Intensität der Schmerzen nach ihren Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzungen und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigungen des Gesundheitszustands abgelten, die durch die Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen und den Verletzten in die Lage versetzen, sich als Ersatz für die Leiden und anstelle der ihm entgangenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen. Das Schmerzengeld ist nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für alles Ungemach, das der Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, grundsätzlich global festzusetzen (7 Ob 29/05y; 2 Ob 61/02p; RIS-Justiz RS0031040, RS0031307; Danzl in Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld10 [2013] 245 mwN). Dabei ist zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen. Es darf der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen für die Bemessung im Einzelfall nicht gesprengt werden (RIS-Justiz RS0031075).
Wie ausgeführt soll bei der Schmerzengeldbemessung der Gesamtkomplex der physischen und psychischen Beeinträchtigungen abgegolten werden. Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof in mehreren Entscheidungen die Zuerkennung einer Entschädigung für den verfrühten Tod abgelehnt hat (2 Ob 55/04h; 8 Ob 64/05b). In diesen Fällen hatten die Angehörigen von Unfallopfern Schmerzengeldansprüche auf den erlittenen Tod oder die Verkürzung der Lebenserwartung des Opfers gestützt, begehrten also Ersatz im Wesentlichen für eine Zeit nach dem Tod des Opfers. Unter ausführlicher Darstellung der österreichischen und deutschen Lehre sowie der Rechtsprechung hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 8 Ob 64/05b dargelegt, dass eine solche Entschädigung mit der Zweckbestimmung des Schmerzengeldes im österreichischen Recht nicht zu vereinbaren ist.
Gegenständlich begehrt der Geschädigte selbst Schmerzengeld, insbesondere für die verkürzte Lebenserwartung. In der Entscheidung 2 Ob 175/14w wurde die Klägerin bei dem Unfall 2011 von einem Fahrzeug mitgeschliffen. Sie erlitt ein lebensbedrohliches Polytrauma mit zahlreichen Brüchen und Prellungen, einer unheilbaren Gallenwegsentzündung mit deutlichem Anstieg der Leberparameter und ausgeprägter Gelbsucht. Sie leidet seit dem Unfall unter Todesangst und weiß, dass sie eine verkürzte Lebensdauer hat. Es liegt eine Invalidität von 90 % vor. In diesem Fall wurden 130.000 EUR als angemessen angesehen.
Insoweit ist der gegenständliche Fall mit den geschilderten schwersternBehinderungen, die zu einem Teil zur völligen Abhängigkeit von anderen Menschen bzw dem Vorliegen schwerwiegender Bewusstseinsstörungen führte, nicht vergleichbar. Auch wenn der Kläger in relativ jungem Alter mit einer 50%igen Verringerung der Leistungsfähigkeit, den täglichen Schmerzen sowie dem Wissen um eine deutlich verkürzte Lebenserwartung konfrontiert ist, ist ihm noch eine aktive und selbstbestimmte Lebensgestaltung möglich.
Berücksichtigt man diese trotz der schwerwiegenden physischen und psychischen Folgen der Fehlbehandlung verbleibenden Möglichkeiten zur Lebensgestaltung in Relation zu anderen Fällen, insbesondere auch zu den vom Berufungsgericht angeführten, würde auch bei Bedachtnahme auf die mittlerweile teilweise eingetretene Geldabwertung ein ähnlich hoher Zuspruch außerhalb des allgemein gezogenen Rahmens für die Bemessung im Einzelfall liegen. In Anbetracht der Gesamtsituation des Klägers erscheint dem erkennenden Senat ein Schmerzengeld von 90.000 EUR als angemessen.