Operationsschere bei OP vergessen, Schmerzensgeld

OGH 4 Ob 48/16m

Das Schmerzengeld hat die Aufgabe, eine Globalentschädigung für alle durch die eingetretenen und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen zu gewähren (RIS-Justiz RS0031191). Die mit der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit einhergehenden Unlustgefühle sind dabei mitzuberücksichtigen (vgl RIS-Justiz RS0022442).Bei den Sorgen des Klägers und seiner Ungewissheit wegen der Existenz eines Fremdkörpers in Form einer vergessenen Operationsschere handelt es sich daher nicht um psychische Beeinträchtigungen, die bloß in Unbehagen und Unlustgefühlen bestehen, sondern vielmehr um die nachvollziehbaren seelischen Folgen einer Körperverletzung im Sinne des § 1325 ABGB. Für diese berechtigten Sorgen mit krankheitswert hat der Kläger einen berechtigten anspruch auf Schmerzensgeld.

  1. Seelische Schmerzen sind ersatzfähig, wenn sie Folge einer Körperverletzung sind (RIS-Justiz RS0031087). Sie sind dann auch ohne gesonderte Behauptung zu berücksichtigen, wenn nach Lage des Falls mit seelischen Schmerzen zu rechnen ist, etwa bei einer nachvollziehbaren länger dauernden Ungewissheit (2 Ob 51/88; Danzl/Gutierrez-Lobos/Müller, Das Schmerzengeld10 156 mwN) oder Sorge wegen späterer Komplikationen (2 Ob 101/05z). Dabei kommt es für die Ausgleichsfähigkeit weder auf das Vorliegen eines eigenständigen Leidenszustands von Krankheitswert noch einer ärztlichen Behandlungsbedürftigkeit an (Danzl/Gutierrez-Lobos/Müller, Das Schmerzengeld10 153).
  2. Sind seelische Schmerzen hingegen keine Folge einer Körperverletzung, gebührt Ersatz nur in Ausnahmefällen, etwa bei schwerwiegenden Eingriffen in die psychische Sphäre (RIS-Justiz RS0030778 [insb T1, T3]; 6 Ob 248/09b mwN [Todesangst]; 2 Ob 2009/96x [befürchtete Frühgeburt]). Allein eine Verärgerung, eine Aufregung, ein Schrecken oder Angstgefühle (9 Ob 36/00k) genügen nicht. Eine psychische Beeinträchtigung, die bloß in Unbehagen und Unlustgefühlen besteht, reicht somit für sich nicht aus, um als Verletzung am Körper angesehen oder einer Verletzung gleichgestellt zu werden (1 Ob 282/00b; RIS-Justiz RS0030792 [T3]).
  3. Das Berufungsgericht hat im Anlassfall nicht ausreichend berücksichtigt, dass unter einer „Verletzung an dem Körper“ im Sinne des § 1325 ABGB jede Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheit und Unversehrtheit zu verstehen ist (1 Ob 282/00b; RIS-Justiz RS0030792). Der Oberste Gerichtshof hat etwa auch das Abschneiden der Haare ohne Einwilligung als Körperverletzung im Sinne des § 1325 ABGB qualifiziert (6 Ob 246/74 = SZ 47/147), wenngleich dies nicht mit Schmerzen verbunden ist oder Einwirkung auf den allgemeinen Gesundheitszustand hat und die Wiederherstellung des früheren Zustands durch das Nachwachsen der Haare zu erwarten ist. Umso mehr muss auch der dauerhafte Verbleib einer abgebrochenen Schere nach einer Operation als Körperverletzung im Sinne des § 1325 ABGB betrachtet werden, zumal damit auch Spät- bzw Dauerfolgen verbunden sein können. Auch ärztliche Eingriffe sind nämlich Körperverletzungen, wenn sie negative Folgen zeitigen (Danzl in KBB4 § 1325 ABGB Rz 2). Eine äußerlich sichtbare Körperverletzung muss nicht vorliegen (RIS-Justiz RS0030792).
  4. Bei den Sorgen des Klägers und seiner Ungewissheit wegen der Existenz eines Fremdkörpers handelt es sich daher nicht um psychische Beeinträchtigungen, die bloß in Unbehagen und Unlustgefühlen bestehen, sondern vielmehr um die nachvollziehbaren seelischen Folgen einer Körperverletzung im Sinne des § 1325 ABGB. Entgegen der Ansicht des Zweitgerichts ist diese Ungewissheit unter dem Aspekt seelischer Schmerzen als Akzessorium einer Körperverletzung zu berücksichtigen (vgl RIS-Justiz RS0030972). Der erkennende Senat erachtet hier zur Abgeltung des Unbills, das der Kläger zu erdulden hatte und in Zukunft noch zu erdulden haben wird, ein Schmerzengeld von insgesamt 5.000 EUR für angemessen.

 

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