Ärztliche Aufklärung über Auftreten einer intraoperativen Querschnittslähmung nach Wirbelsäulenoperation 

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In einer aktuellen Entscheidung hatte sich der oberste Gerichtshof (10 Ob 28/25 b) mit der Frage der ärztlichen Aufklärungspflicht über die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer eingriffsimmanenten Komplikation in Form einer Querschnittslähmung anlässlich einer Wirbelsäulenoperation zu befassen und ausgesprochen, dass bei Vorliegen statistischer Daten, im gegenständlichen Fall bis zu 17 %, diese aufgrund einer massiven und lebenslang verbleibenden gravierenden Einschränkung mit dem Patienten ausführlich zu besprechen sind. 

Nachstehender Sachverhalt lag dieser wichtigen OGH Entscheidung zu Grunde: 

Im Herbst 2020 zog sich die Klägerin eine ausgeprägte Berstungsfraktur eines Brustwirbels zu. Am 28. Juni 2021 wurde die Klägerin im Landeskrankenhaus Graz vorstellig und es wurde mit ihr die Möglichkeit einer Operation besprochen, wobei sie im Zuge dieses Termins auch über die allgemeinen Risiken (inklusive Querschnittslähmung) der Operation aufgeklärt wurde. Bereits zu diesem Zeitpunkt bestand bei der Klägerin grundsätzlich der Wunsch der Durchführung der Operation, eine Dringlichkeit der Operation bestand nicht. 

Am Abend vor der Operation wurde die Klägerin konkret nochmals über die Risiken eines Infekts, Blutungen, Nervenläsionen, einer Querschnittslähmung, einer Schraubenlockerung und eines Implantat-Versagens aufgeklärt. Die Klägerin war bereit für die Operation und unterzeichnete den Aufklärungsbogen. 

Dort ist unter der Frage „Ist mit Komplikationen zu rechnen?“ unter anderem angeführt: 

„Trotz größter Sorgfalt können bei und nach der Operation Störungen auftreten, die u.U. auch weitere Maßnahmen erforderlich machen und so die gesamte Behandlungszeit wesentlich verlängern können. In seltenen Fällen kann die Situation auch lebensbedrohlich werden. 

Zu nennen sind: Verletzungen der Nerven oder des Rückenmarks können anhaltende Schmerzen, Gefühlsstörungen, Temperaturmissempfindungen, Schwächen oder Lähmung der Beine, Funktionsstörungen von Blase und Afterschließmuskel (Inkontinenz) oder sexuelle Störungen (Impotenz) bis hin zur Querschnittlähmung zur Folge haben.“Seit der Operation 2. September 2021 leidet die Klägerin an einer Querschnittslähmung. 

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Gegenstand des Revisionsverfahrens war die Frage, ob diese Aufklärung ausreichend war, und insbesondere ob auch über die festgestellte hohe Wahrscheinlichkeit bis 17 % des Auftretens dieser Komplikation aufzuklären gewesen wäre und hat dazu Nachstehendes wie folgt ausgeführt: 

„Hat eine ohne Einwilligung oder ohne ausreichende Aufklärung des Patienten vorgenommene eigenmächtige Behandlung des Patienten nachteilige Folgen, haftet der Arzt, wenn der Patient sonst in die Behandlung nicht eingewilligt hätte, für diese Folgen selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung kein Kunstfehler unterlaufen ist (RS0026783). Eine Einwilligung kann vom Patienten nur dann wirksam abgegeben werden, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen ärztlichen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde (RS0026499)“. 

„Die Aufklärungspflicht gilt vor allem bei Vorliegen einer typischen Gefahr. Diese Typizität ergibt sich nicht aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus, dass das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher vermeidbar ist (RS0026340). Auf typische Risiken einer Operation ist daher unabhängig von prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeiten, also auch bei einer allfälligen Seltenheit ihres Eintritts, hinzuweisen (RS0026581)“. 

„Die ärztliche Aufklärung soll den Patienten instand setzen, die Tragweite seiner Erklärung, in die Behandlung einzuwilligen, zu überschauen (RS0026413). Aufgabe der ärztlichen Aufklärung ist es, dem Patienten die für seine Entscheidung maßgebenden Kriterien zu liefern (RS0026413 [T3]). Damit die ärztliche Aufklärung ihren Zweck erreichen kann, muss sich deren Umfang nach den persönlichen Verhältnissen des jeweiligen Aufklärungsadressaten richten (RS0026413 [T11]). 

Die ärztliche Aufklärungspflicht reicht umso weiter, je weniger der Eingriff aus Sicht des vernünftigen Patienten vordringlich oder gar geboten ist bzw je höher die Wahrscheinlichkeit des Auftretens bestimmter Komplikationen ist (RS0026772 [insb T24]). Ist der Eingriff medizinisch empfohlen, aber nicht eilig wie im gegenständlichen Fall vorliegend, ist eine umfassende Aufklärung vorzunehmen“. 

„Ein Arzt muss nach der Rechtsprechung zwar nicht auf alle nur denkbaren Folgen einer Behandlung hinweisen (RS0026529; RS0026426 [T3]). Insbesondere fordert die Rechtsprechung keinen Hinweis auf typische (weitere) Folgen bei Verwirklichung behandlungstypischer Risiken, weil den Patienten ansonsten oftmals eine derartige Fülle von Informationen gegeben werden müsste, dass ihnen die Einschätzung der Lage nicht ermöglicht, sondern erschwert würde (5 Ob 28/21k Rz 22; 6 Ob 144/19y; 7 Ob 228/11x)“. 

„Der Arzt muss den Patienten aber, um ihm eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen, über mehrere zur Wahl stehende diagnostische oder therapeutische adäquate Verfahren informieren und das Für und Wider mit ihm abwägen, wenn jeweils unterschiedliche Risken entstehen können und der Patient eine echte Wahlmöglichkeit hat (RS0026426 [T1]). Nach dem Zweck der Aufklärungspflicht versteht sich von selbst, dass sie auch die Darstellung der Schwere des Risikos umfasst, was gleichbedeutend ist mit einer Darstellung der Art der Gesundheitsbeeinträchtigung, die aus dem verwirklichten Risiko resultieren kann (RS0026426 [T8])“. 

„Da die Abwägung des Für und Wider nicht nur von der Bedeutung des möglichen Nachteils (also der Art und Schwere einer möglichen Gesundheitsbeeinträchtigung), sondern im Allgemeinen auch von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts des betreffenden Nachteils (auch im Vergleich zu den Behandlungsalternativen) beeinflusst zu werden pflegt, muss der Patient – jedenfalls bei Behandlungen, die nicht eilig sind – auch über die (nach medizinischen Standards bekannte) Wahrscheinlichkeit des Auftretens der Komplikation aufgeklärt werden (in diesem Sinn bereits 8 Ob 646/92; vgl auch RS0026572), wenn und weil ein verständiger Patient sie bei objektiver Betrachtung seiner Abwägungsentscheidung zugrunde legen würde. 

Die Angabe der statistischen Wahrscheinlichkeit muss dabei nicht zwingend in Prozent (oder Promille) ausgedrückt werden, sondern kann auch durch andere Hinweise erfolgen, die dem Patienten eine ausreichende Abschätzung der Wahrscheinlichkeit ermöglichen. Kann eine solche Wahrscheinlichkeit mangels Vorliegens statistischer Daten und entsprechend den medizinischen Standards nicht angegeben werden, ist auf diesen Umstand hinzuweisen.“ 

Aufgrund dieser höchstgerichtlichen Grundsätze hat der OGH ausgesprochen, dass die Aufklärung über die bloße Möglichkeit einer Querschnittslähmung nicht erkennen lässt, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine solche Komplikation auftreten könnte. Auch dem schriftlichen Aufklärungsbogen sind solche Hinweise (anders als bei anderen angeführten Komplikationen oder nachteiligen Folgen) nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, sodass ein verständiger Patient nicht von einer (nicht nur selten, sondern) häufig auftretenden Komplikation ausgehen muss. Dem Vorbringen der Klägerin, dass ein (ihr nicht mitgeteiltes, aber) derart hohes Risiko (im Sinn einer hohen Wahrscheinlichkeit) für den Eintritt einer Querschnittslähmung (von bis 17%) bestanden habe, kommt daher Relevanz für die Frage zu, ob dem Beklagten eine Verletzung der Aufklärungspflicht anzulasten ist, weil die Information, dass eine derart gravierende Beeinträchtigung (Querschnittslähmung) in mehr als einem von sechs Fällen auftritt, für die Entscheidungsfindung eines Patienten (und auch der Klägerin) durchaus von Relevanz sein kann. Dabei geht es auch um die zu erwartende Komplikation selbst (Querschnittslähmung), über die die Klägerin grundsätzlich bereits aufgeklärt wurde, und nicht um (weitere) Folgen bei Verwirklichung dieser.

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