Aufklärungspflicht auch bei äußerst geringen Risken, Intraoperative Wachheit
Die Aufklärungspflicht eines Arztes reicht umso weiter, je weniger die Operation aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder gar geboten ist (hier: Sterilisation). Gerade bei nicht dringlichen Operationen gilt, dass der Patient selbst die Abwägung vornehmen soll, ob er trotz des statistisch unwahrscheinlichen Risikos nachteiliger Folgen sich der geplanten Operation unterziehen oder aber seinen bisherigen Gesundheitszustand unverändert belassen will. Daher kann sich eine Aufklärungspflicht auch ergeben, wenn die Wahrscheinlichkeit des Risikoeintritts zahlenmäßig sehr gering ist, hier die intraoperative Wachheit.
Es lassen sich keine allgemeinen Richtlinien darüber aufstellen, ab welchem Häufigkeitsgrad eines Operationsrisikos aufgeklärt werden muss. Es kommt v. a. darauf an, ob die Risken lebensbedrohend sind oder wichtige Körperfunktionen betreffen; es darf aber nicht nur auf allgemeine statistische Werte abgestellt werden, sodass die Aufklärungspflicht nicht schon bei einer Risikodichte im Promillebereich entfällt (hier: 0,2 bis 0,4%), daher kann sich eine Aufklärungspflicht auch ergeben, wenn die Wahrscheinlichkeit des Risikoeintritts zahlenmäßig sehr gering ist (7Ob 21/07Z, RIS-Justiz RS 0026375).
Es entspricht auch weiters der stRsp, dass auf ein typisches, d. h. speziell dem geplanten Eingriff anhaftendes und auch bei größter Sorgfalt nicht vermeidbares Risiko unabhängig von der prozentmäßigen Wahrscheinlichkeit, also auch bei allfälligen Seltenheit ihres Eintritts, hinzuweisen ist; die ärztliche Aufklärungspflicht in diesem Fall verschärft (RIS-Justiz RS 0026581, RS 0026340).
Das gilt zwar nur dann, wenn das Risiko geeignet ist, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen (1Ob 532/94 = RdM 1994, 121 u. a.). Dass dies beim Risiko einer intraoperativen Wachheit im vorliegenden Fall zu bejahen ist, bedarf keiner weiteren Erörterung, war doch die Operation weder dringlich noch geboten. In welchem Umfang der Arzt im Einzelfall den Patienten aufklären muss, ist eine stets anhand der zu den konkreten Umständen des Einzelfalls getroffenen Feststellungen zu beurteilende Rechtsfrage (stRsp, RIS-Justiz RS 0026763). Aus diesem Grund wurde bereits ausgesprochen, es könnten keine vom Einzelfall lösgelösten (abstrakten) Prozent- oder Promillesätze dafür angegeben werden, bei welcher Wahrscheinlichkeit von Risken oder Schädigungen eine Aufklärungspflicht generell nicht mehr besteht (8Ob 646/92). Es ließen sich keine allgemeinen Richtlinien darüber aufstellen, ab welchem Häufigkeitsgrad eines Operationsrisikos aufgeklärt werden müssen. Es kommt v. a. darauf an, ob die Risken lebensbedrohend seien oder wichtige Körperfunktionen betreffend; weiters sei maßgeblich, ob die Risken von einem solchen Gewicht seien, dass ein vernünftiger Patient ernsthaft in seinen Überlegungen einbeziehen muss, ob er lieber mit den bisherigen Beschwerden weiter leben möchte oder aber die gute Chance einer Verbesserung bzw. Heilung mit dem ggü. viel kleineren Gefahrenerkauf (3Ob 545/82, RIS-Justiz RS 0026437). Es dürfe nicht nur auf allgemein statistische Werte abgestellt werden; die Aufklärungspflicht des Arztes entfalle nicht schon bei einer Risikodichte im Promillebereich (2Ob 505/96, RdM 1996/87). So wurde etwa auch jüngst eine Verletzung der Aufklärungspflicht bei einem 0,325igen typischen Risiko über das nicht aufgeklärt wurde, bejaht (4Ob 132/06z betreffend einer Darmspiegelung verbunden mit einer Polypenentfernung und das damit typischerweise verbundene Risiko einer Darmperforation). Nur wenn das Risiko eine offenkundige Tatsache darstellt (wie etwa das jedem Eingriff in den menschlichen Organismus innewohnende Infektionsrisiko) wäre eine andere Beurteilung vorzunehmen (RIS-Justiz RS 0040163). Dass es sich beim Risiko einer intraoperativen Wachheit aber nicht um eine jedermann bekannte offenkundige Tatsache handelt, ist nicht zu bezweifeln.
Sh. dazu allem OGH vom 10.04.2008 zu 3Ob 11/08t;
- auch in Ecolex 2008, S. 735, 2008/263
04.12.08