Im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den Regeln der ärztlichen Kunst, wofür der aktuell anerkannte Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft maßgeblich ist (RIS-Justiz RS0021335 [T2]). Ein Arzt handelt fehlerhaft, wenn er das in Kreisen gewissenhafter und aufmerksamer Ärzte oder Fachärzte vorausgesetzte Verhalten unterlässt (9 Ob 48/15x; RIS-Justiz RS0026368 [T2]). Ob ein ärztlicher Kunstfehler vorliegt, ist eine – nicht revisible – Tatfrage (RIS-Justiz RS0026418); ebenso die Beurteilung, welche Maßnahmen im konkreten Einzelfall erforderlich bzw zweckmäßig gewesen wären (8 Ob 129/13y).
Ein Spitalsärzten anzulastendes Fehlverhalten bei der Behandlung des Patienten liegt dann vor, wenn diese nicht nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung vorgegangen sind oder die übliche Sorgfalt eines ordentlichen, pflichtgetreuen Durchschnittsarztes in der konkreten Situation vernachlässigt haben (RIS-Justiz RS0038202). Die Behandlung muss also entsprechend den Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft und den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgen. Der Arzt handelt nicht fahrlässig, wenn die von ihm gewählte Behandlungsmethode einer Praxis entspricht, die von angesehenen, mit dieser Methode vertrauten Medizinern anerkannt ist, selbst wenn ebenfalls kompetente Kollegen eine andere Methode bevorzugt hätten.
Eine Behandlungsmethode kann grundsätzlich so lange als fachgerecht angesehen werden, wie sie von einer anerkannten Schule medizinischer Wissenschaft vertreten wird (vgl auch RS0026324; 7 Ob 321/00g; 8 Ob 525/88 mwN). Der Maßstab für Sorgfalt und Fachkunde eines Arztes bestimmt sich nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zur Zeit der Behandlung (vgl RS0123136 [T2]; Juen, Arzthaftungsrecht2, 165; Pitzl/Huber/Lichtenegger, Der Sorgfaltsmaßstab des behandelnden Arztes „Wissen, Können und Bemühen“, RdM 2007/2 [4]). Ob ein ärztlicher Kunstfehler vorliegt, ist Tatfrage (RS0026418 [T4]).
Richtlinien oder Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften oder anderer Expertengremien sind regelmäßig rechtlich unverbindlich, allerdings können solche Richt- oder Leitlinien der Konkretisierung und Feststellung des aktuellen medizinischen Standards dienen (Neumayr aaO; Kopetzki aaO 34 f; in diesem Sinn auch 3 Ob 106/06v: Kommissionsrichtlinien als Mittel zur „Erforschung des Stands der Wissenschaft“).
Die Missachtung einer anerkannten und auf den konkreten Fall anwendbaren Leitlinie kann prima facie zur Annahme eines Behandlungsfehlers führen. Umgekehrt entsteht durch das Befolgen der Leitlinie ein Indiz für ein pflichtgemäßes Handeln des Arztes (Kopetzki aaO 35; Juen aaO 222 f). Von wissenschaftlichen Fachgesellschaften herausgegebene medizinische Leitlinien (Clinical Practice Guidelines) können in Zusammenschau mit einem Sachverständigengutachten als Mittel zur Erforschung des maßgeblichen medizinischen Standards bzw der gebotenen Sorgfalt dienen. Für sich allein entfalten diese Behandlungsleitlinien allenfalls Indizwirkung für den Stand der medizinischen Wissenschaft, treten aber nicht an die Stelle eines Sachverständigengutachtens und ersetzen nicht die erforderliche Feststellung eines lege artis Vorgehens bzw eines ärztlichen Fehlverhaltens im konkreten Fall.