Herzinfarkt/Notfallmanagement in der Arztpraxis Behandlungsfehler und Organisationsverschulden
Unter dieser Rubrik berichte ich unter ausdrücklicher Zustimmung und Ermächtigung meiner Mandanten von aktuellen interessanten Fällen in meiner Kanzlei. Bei diesem Fall handelt es sich um einen ärztlichen Behandlungsfehler in einer Krankenanstalt, dem nachstehender kurz zusammengefasster Sachverhalt wie folgt zugrunde lag:
Der Gatte/Vater meiner Mandanten hat bei einem Kardiologen in dessen Ordination ohne Vornahme eines obligatorisch verpflichtenden Kontroll-EKG, ohne mündlicher und schriftlicher Patientenaufklärung, ohne Überprüfung des Vorliegens der klinischen Voraussetzungen und ohne Dokumentation darüber eine Belastungsuntersuchung in Form einer Fahrradergometrie vorgenommen und erlitt dadurch infolge Unterlassung einer kontinuierlichen Beobachtung während dieser Belastungsuntersuchung – wodurch das Vorliegen von absoluten Abbruchkriterien nicht bemerkt wurde – nach Beendigung am WC in der Ordination einen Kreislaufkollaps mit Herzkreislaufstillstand.
An diesem WC war keine Notrufeinrichtung installiert. Die WC-Türe in dieser Ordination verfügte über die technische Möglichkeit der einfachen Öffnung von außen durch Verwendung einer Münze, trotzdem konnte diese erst nach 20 Minuten von der Feuerwehr gewaltsam geöffnet werden. Der Gatte/Vater meiner Mandanten war über 20 Minuten medizinisch unversorgt im verschlossenen WC und erlitt in diesem Zeitraum einen leider Gottes tödlich verlaufenden Kreislaufkollapses mit Herzkreislaufstillstand.
Der Kardiologe hat mehrfach nicht lege artis und leitliniengereicht (Praxisleitlinie Ergometrie der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft) gehandelt und dadurch grob fahrlässig den Tod des Ehegatten/Vater meiner Mandanten verursacht. Darüber hinaus hat dieser ein grob fahrlässiges Organisationsverschulden bezüglich Patientensicherheit und Notfallmanagement in seiner Ordination zu verantworten.
Durch zumutbare Installation einer Notrufeinrichtung in der WC-Anlage und der jederzeitigen Möglichkeit der Türöffnung von außen im Notfall hätten durch sofortige lebenserhaltende intensiv-/notfallmedizinische Maßnahmen der Tod verhindert werden können. Über die sicherheitstechnische Einrichtung und Vorkehrung der jederzeitigen Möglichkeit der Öffnung von Ordinationsräumlichkeiten im Notfall von außen besteht Konsens in den Ärztekammern Österreichs.
Bei einer Ordination für einen Facharzt der Innere Medizin mit dem Sonderfach für Kardiologie, in welcher an Patienten Belastungsuntersuchungen (Ergometrien) durchgeführt werden, muss gewährleistet sein, dass nach derartigen Belastungsuntersuchungen eintretende Notfälle frühestmöglich und professionell durch intensiv-/notfallmedizinische Maßnahmen behandelt werden können. Patienten nach vorgenommenen Belastungsuntersuchungen bedürfen einer besonderen Obhutspflicht/Oberservanz und hat der Behandelnde seine Ordinationsräume im Sinne einer Beseitigung oder zumindest „Entschärfung“ von Gefahrenquellen derart zu gestalten, dass jederzeitige und sofortige Intensiv/notfallmedizinische Maßnahmen getätigt werden können. Diese Voraussetzungen liegen aber bei einem Ordinations-WC ohne Notrufeinrichtung und ohne der Möglichkeit – aus welchen Gründen auch immer – diese Türe im Notfall von außen zu öffnen nicht vor. Diese einfachen und zumutbaren Sicherungsmaßnahmen wurden von diesem Kardiologen grob fahrlässig außer Acht gelassen.
Ärzte schulden ihren Patienten aus dem Behandlungsvertrag nach § 1299 ABGB jene Sorgfalt, die von einem ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnittsarzt in der konkreten Situation erwartet wird. Dabei ist auf den jeweiligen zumutbaren Erkenntnisstand der Ärzte abzustellen (RIS-Justiz RS 00238202). Behandlungsfehler sind schuldhafte Verletzungen der sich aus dem Behandlungsvertrag ergebenden Haupt- und Nebenpflichten im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlung und Betreuung des Patienten. Zur Betreuungspflicht des Arztes zählt es auch, den Patienten vor sonstigen, durch die Behandlung entstehenden Gefahren zu schützen.
Der Behandler muss seine Ordinationsräume im Rahmen des Zumutbaren so gestalten, dass Patienten nicht zu Schaden kommen. Aus dem Behandlungsvertrag bestehen auch nachvertragliche Schutzpflichten des Arztes hinsichtlich nachvertraglicher Obhutspflichten und besonderer Observanz, welche umso mehr bei herzerkrankten Patienten zu beachten sind.
Im gegenständlichen Fall ist erschwerend aufgetreten, dass es dem Kardiologen nicht möglich war eine Dokumentation des obligatorisch vor der Ergometrie vorzunehmenden EKG und der darauffolgenden Ergometrie vorzulegen. Die Dokumentationspflicht des § 51 Abs 1 ÄrzteG trifft jeden Arzt und ist darüber hinaus auch eine aus dem Behandlungsvertrag resultierende Verpflichtung zur Führung von Aufzeichnungen. Die Dokumentationspflicht bezweckt die Therapiesicherung, Beweissicherung und die Rechenschaftslegung.
Darüber hinaus fordern die Praxisleitlinien Ergometrie der österreichischen kardiologischen Gesellschaft für Belastungsuntersuchungen eine standardisierte protokollierte Dokumentation. Als Rechtsfolge einer Dokumentationsverletzung wie gegenständlich gilt nach gesicherter einschlägiger Rechtsprechung, dass die unterlassene Dokumentation einer Maßnahme die Vermutung begründet, dass diese Maßnahme vom Arzt nicht getroffen wurde (RIS-Justiz RS 0026236). Die Tatsache, dass in Verstoß gegen § 51 Ärztegesetz rechtswidrig und schuldhaft vorwerfbar keine Dokumentation geführt wurde stellt auch ein Disziplinarvergehen und eine schwere Berufspflichtverletzung nach den Bestimmungen des Ärztegetz dar, welches gem. § 1311 ABGB als Schutzgesetz zu qualifizieren ist.
Schutzgesetzte sind abstrakte Gefährdungsverbote die dazu bestimmt sind, die Mitglieder eines bestimmten Personenkreises gegen die Verletzung von Rechtsgütern zu schützen. Bei Verletzung eines Schutzgesetzes fordert die ständige Rechtsprechung keinen strengen Beweis des Kausalzusammenhanges (RIS-Justiz RS 0027540, RS 0027462).
Es kommt zwar zu keiner Umkehr der Beweislast, der Beweis des ersten Anscheins spricht aber in solchen Fällen dafür, dass der von der Norm zu verhindernde Schaden durch das verbotene Verhalten verursacht wurde. Die Schadenersatzhaftung ist daher bereits dann zu bejahen, wenn überwiegende Gründe dafür vorliegen, dass der Schaden durch das Verhalten des in Anspruch genommenen herbeigeführt wurde. Es obliegt dann der Gegenseite, die Kausalität der Pflichtwidrigkeit, durch Entkräftung des ihn belastenden Anscheinsbeweises ernsthaft zweifelhaft zu machen. Die Beweislast dafür, dass der Schaden auch ohne sein rechtswidriges Verhalten eingetreten wäre, obliegt jedenfalls zur Gänze dem Schädiger (RIS-Justiz RS 0027640; 7 Ob 237/12 x).
Im Rahmen der außergerichtlichen Schadensabwicklung wurde für die Witwe Trauerschmerzengeld sowie Schmerzengeld im Sinne eines Schockschadens mit krankheitswertiger psychischer Belastung geltend gemacht. Bei der Witwe hat sich aufgrund des Todes ihres geliebten Ehegatten eine über die normale Trauerreaktion darüber hinaus gehende krankheitswertige psychische Gesundheitsbeeinträchtigung im Sinne einer pathologischen Trauerreaktion entwickelt.
Darüber hinaus wurden für die Witwe Unterhaltsentgang gem. § 1327 ABGB, der Ersatz der gesamten Begräbniskosten sowie ein Feststellungsbegehren gem. § 228 ZPO, da zukünftige derzeit nicht bekannten Folgen und Schäden aus dem gegenständlichen Vorfall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auszuschließen waren, geltend gemacht
Aufgrund der obigen Ausführungen und insbesondere aufgrund der objektivierten Dokumentationsverletzung des Kardiologen konnte zwischenzeitig die Angelegenheit mit der Haftpflichtversicherung des Kardiologen zur vollsten Zufriedenheit meiner Mandantin außergerichtlich erledigt werden.