Typische Behandlungsrisiken, erhöhte Aufklärungspflicht

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OGH: Ärztliche Aufklärungspflicht (iZm typischen Gefahren)

Bei Vorliegen sog typischer Gefahren ist die ärztliche Aufklärungspflicht verschärft; „Typisch” bezieht sich dabei nicht darauf, ob eine Komplikation häufig oder sogar sehr selten auftritt, sondern darauf, ob das selbst bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher vermeidbare Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und erheblich ist (dh geeignet, die Entscheidung der Patienten zu beeinflussen); der uninformierte Patient wird überrascht, weil er nicht mit der aufgetretenen Komplikation rechnete

 

GZ 1 Ob 138/16z, 23.11.2016 OGH: Nach stRsp umfasst die Verpflichtung des Arztes aus dem Behandlungsvertrag auch die Pflicht, den Patienten über die Art und Schwere sowie die möglichen Gefahren und die schädlichen Folgen einer Behandlung zu unterrichten. Die Aufklärung soll den Patienten in die Lage versetzen, die Tragweite seiner Erklärung, in die Behandlung einzuwilligen, zu überschauen. Der Patient kann nämlich nur dann wirksam seine Einwilligung geben, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde. Für die nachteiligen Folgen einer ohne ausreichende Aufklärung vorgenommenen Behandlung des Patienten haftet der Arzt selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung – wie im vorliegenden Fall – kein Kunstfehler unterlaufen ist, es sei denn, er beweist, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte. Dies wurde hier gar nicht behauptet.

 

Bei Vorliegen sog typischer Gefahren ist die ärztliche Aufklärungspflicht verschärft. „Typisch” bezieht sich dabei nicht darauf, ob eine Komplikation häufig oder sogar sehr selten auftritt (vgl „unabhängig von der prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit” RIS-Justiz RS0026230 [T1]), sondern darauf, ob das selbst bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher vermeidbare Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und erheblich ist (dh geeignet, die Entscheidung der Patienten zu beeinflussen); der uninformierte Patient wird überrascht, weil er nicht mit der aufgetretenen Komplikation rechnete.

 

Für die Beurteilung der Frage, ob Typizität vorliegt, bedarf es Feststellungen, anhand derer sich die zuvor genannten Voraussetzungen als gegeben oder nicht gegeben beurteilen lassen. Erst auf Basis eines solchen, dem Tatsachenbereich zuzuordnenden Sachsubstrats lässt sich die mögliche Folge einer Behandlung unter den in der Rechtswissenschaft verwendeten Fachbegriff „typisches Behandlungsrisiko“ subsumieren. Ob die „Spirale” im konkreten Fall durch die Gebärmutterwand (hindurch) oder über die Eileiter in den Bauchraum abgewandert ist, ist aber, weil beides unter das Risiko des „Abwanderns“ einzuordnen ist, unerheblich.

 

Das Erstgericht gelangte, nachdem es Feststellungen zu den mit „Spiralen” und denjenigen der Drittbeklagten einhergehenden Komplikationen getroffen hatte, (noch) in dem den Feststellungen gewidmeten Teil seines Urteils zum Ergebnis, es könne nicht „festgestellt werden, dass es sich beim Abwandern in die Bauchhöhle nach korrektem Legen um ein typisches mit der Anwendung verbundenes Risiko handelt“. Die Revisionswerber werfen dem Berufungsgericht, das beim Abwandern der „Spirale” in den Bauchraum im Gegensatz dazu von einem behandlungstypischen Risiko ausgeht, vor, es weiche vom Sachverhalt ab und habe die Feststellungen des Erstgerichts „umgewürdigt“. Das Berufungsgericht hat im vorliegenden Fall die Frage, ob es sich beim „Abwandern“ der „Spirale” nach korrektem „Setzen“ um ein „typisches Behandlungsrisiko“ handelt, anhand des vom Erstgericht festgestellten Sachverhalts – und nicht auf Grundlage von davon abweichenden Feststellungen – gelöst. Es hat aber dabei – anders als das Erstgericht und – den Grundsätzen der höchstgerichtlichen Rsp zum behandlungstypischen Risiko folgend, den Faktor Komplikationshäufigkeit (Inzidenz oder Risikodichte) nicht miteinbezogen.

 

Ob und in welchem Umfang ein Arzt den Patienten aufklären muss, ist eine stets anhand der zu den konkreten Umständen des Einzelfalls getroffenen Feststellungen zu beurteilende Rechtsfrage und demnach grundsätzlich nicht revisibel. Dabei war hier zu berücksichtigen, dass die ärztliche Aufklärungspflicht umso weiter reicht, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder geboten ist. Für diese Frage ist aber ohne Belang, ob der Erstbeklagte „ex ante betrachtet keine realistische Möglichkeit“ hatte „den ex post sich herausstellenden Verlauf abzusehen“, weil der tatsächlich „stattgehabte Verlauf“ nicht die Richtschnur für den Umfang der gebotenen Aufklärung ist. Vielmehr ist die Frage zu stellen, ob ein ordentlicher und pflichtgetreuer Durchschnitts-(fach-)arzt in der konkreten Situation des behandelnden Gynäkologen als Sachverständiger iSd § 1299 ABGB gemessen am jeweiligen zumutbaren Erkenntnisstand der Ärzte und nach den aktuell anerkannten Regeln ärztlicher Kunst in der Lage gewesen wäre, das Risiko des Abwanderns abzusehen und ob er über dieses erhebliche Risiko folglich hätte aufklären müssen. Dass das Berufungsgericht den vom Erstgericht festgestellten Inhalt des mit der „Spirale“ ausgelieferten und Warnhinweise enthaltenden Beipackzettels, der der Klägerin vom Erstbeklagten nicht ausgehändigt worden war, als Teil des zumutbaren Erkenntnisstands eines solchen Facharztes betrachtet hat, ist nicht zu beanstanden.

 

 

 

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