Geburtsvorgang, Behandlungsfehler, Schmerzengeld

OGH vom 29.09.2016, 9 Ob 6/16x

Der Beklagte ist Gynäkologe und betreute die Mutter der Klägerin während ihrer Schwangerschaft. Aufgrund eines von ihm falsch beurteilten CTG, das eine sofortige Einleitung der Entbindung erforderlich gemacht hätte, sowie weiterer ihm zurechenbaren Verzögerungen kam es erst mit einer Verspätung von fünf Stunden zur Entbindung. Dabei wurden ein Nabelschnurknoten sowie eine Nabelschnurumschlingung festgestellt. Aufgrund der damit verbundenen Sauerstoffunterversorgung weist die Klägerin schwere Hirnschäden auf. Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit lag ein Sauerstoffmangel bereits bei der Erstellung des ersten CTG vor. Wieweit zu diesem Zeitpunkt bereits eine Schädigung des kindlichen Gehirns vorlag, lässt sich nachträglich nicht sagen. Je länger eine Sauerstoffunterversorgung stattfindet, desto schwerer ist die Schädigung. Zum damaligen Zeitpunkt war der Gesamtschaden jedenfalls noch nicht eingetreten. Es ist allerdings nicht feststellbar, wie viel des Schadens damals bereits eingetreten war. Dadurch, dass die Entbindung nicht in der erforderlichen Entschlossenheit angestrebt wurde, ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit der Schaden größer geworden.

Den Beweis für die Verursachung des Schadens hat grundsätzlich der Geschädigte zu tragen, und zwar auch in den Fällen des § 1298 ABGB. Im Arzthaftungsbereich ist die Feststellung des natürlichen Kausalzusammenhangs zwischen Eintritt des Schadens und fehlerhafter Heilbehandlung jedoch äußerst schwierig, da die Kausalität bestimmter Umstände für den Eintritt gesundheitsschädigender Folgen naturwissenschaftlich nicht immer mit Sicherheit beweisbar ist. Aufgrund der Schwierigkeiten, einen exakten Beweis zu erbringen, stellt die judizielle Praxis bei möglicherweise mit Behandlungsfehlern zusammenhängenden Gesundheitsschäden von Patienten geringere Anforderungen an den Kausalitätsbeweis, zumal ein festgestellter schuldhafter Behandlungsfehler auf einen nachteiligen Kausalverlauf geradezu hinweist (RIS-Justiz RS0038222). Insbesondere dann, wenn das schädigende Verhalten in Unterlassungen besteht, genügt ein sehr hoher Grad von Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs für die Haftung (RIS-Justiz RS0022825; RS0022900 [T3]).

Ebenso entspricht es der Rechtsprechung, dass für den dem Kläger obliegenden Beweis der Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden der Nachweis genügt, dass die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts durch den Fehler der Ärzte nicht bloß unwesentlich erhöht wurde (RIS-Justiz RS0026768). Dem Beklagten obliegt dann der volle Beweis, dass die erwiesene Vertragsverletzung im konkreten Fall für die nachteiligen Folgen mit größter Wahrscheinlichkeit unwesentlich geblieben sei (RIS-Justiz RS0026209 [T6]).Alternative Kausalität ist gegeben, wenn Handlungen oder Unterlassungen mehrerer Personen, die je für sich als voller Haftungsgrund geeignet sind, als Schadensursache in Frage kommen, ohne dass feststellbar ist, wer von ihnen den Schaden tatsächlich verursacht hat (1 Ob 63/11p mwN; ähnlich RIS-Justiz RS0022712). In Fällen der alternativen Kausalität wird die Haftung an die potentielle Verursachung der in Betracht kommenden Schädiger geknüpft, weswegen in der Rechtsprechung gefordert wird, dass die Täter in hohem Maß konkret gefährlich für den Schadenseintritt gehandelt haben. Deren Verhalten muss für den Schadenseintritt in höchstem Grad adäquat gewesen sein (RIS-Justiz RS0022721 [T3]).

Bei einer Konkurrenz von haftungsbegründendem Verhalten und Zufall entspricht es der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung, dass der Schädiger durch sein rechtswidriges und schuldhaftes Tun, der Geschädigte hingegen durch den Zufall belastet wird. In Analogie zu § 1304 ABGB wird dazu vertreten, dass in solchen Fällen eine Schadensteilung vorzunehmen ist (3 Ob 106/06v; 4 Ob 554/95; RIS-Justiz RS0027286; RS0107245 [T5]). Ist eine der konkret gefährlichen, potenziellen Ursachen dem Geschädigten zurechenbar, kommt es im Zweifel zu einer gleichteiligen Schadenstragung.

Krankheitserscheinungen, die durch einen Unfall nur deshalb ausgelöst wurden, weil die Anlage zur Krankheit bei dem Verletzten bereits vorhanden war, sind im Sinne der Adäquanz in vollem Umfang Unfallsfolge, sofern die krankhafte Anlage nicht auch ohne die Verletzung in absehbarer Zeit den gleichen gesundheitlichen Schaden herbeigeführt hätte (RIS-Justiz RS0022746 [T7]). Das Risiko einer für den Schaden mitursächlichen Anlage des Geschädigten hat – mit der Grenze der Adäquanz – der schuldhaft und kausal handelnde Schädiger zu tragen (RIS-Justiz RS0022746 [T9]). Aus diesem Grund bleibt der Schädiger grundsätzlich für den gesamten Schadenserfolg verantwortlich, wenn zwei Umstände nur zusammen, beispielsweise eine unmittelbar durch den Unfall herbeigeführte Verletzung zusammen mit einer besonderen Veranlagung des Verletzten, die Schwere des Verletzungserfolgs bedingen (RIS-Justiz RS0022684).

Der Klägerin ist nicht nur der Nachweis der Erhöhung des Risikos durch den Behandlungsfehler – die länger dauernde Sauerstoffunterversorgung – gelungen, sondern sogar der Nachweis, dass ein Teil des Schadens jedenfalls durch den Erstbeklagten verursacht wurde. Aufgrund der eindeutigen Zuordenbarkeit zumindest eines Teils des Schadens ist dem Beklagten nicht nur eine potentielle Verursachung zur Last zu legen und liegt daher kein Fall der alternativen Kausalität vor. Es wäre daher an ihm gelegen nachzuweisen, dass nicht der gesamte Schaden auf den Behandlungsfehler zurückzuführen ist. Die diesbezügliche Negativfeststellung geht zu seinen Lasten.

Der Schädiger hat nur für adäquat herbeigeführte Schäden einzustehen, was dann der Fall ist, wenn die Schadensursache ihrer allgemeinen Natur nach für die Herbeiführung eines derartigen Erfolgs nicht als völlig ungeeignet erscheinen muss und nicht nur infolge einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen zu einer Bedingung des Schadens wurde (RIS-Justiz RS0022906; RS0022546; RS0022914; RS0022918). Wenn die weitere Ursache im Fehler eines Dritten liegt, scheidet die Haftung aus, wenn mit dem dadurch bedingten Geschehensablauf nach der Lebenserfahrung nicht zu rechnen war (RIS-Justiz RS0022621; RS0022575), er also außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit lag (RIS-Justiz RS0022940).

Davon ist jedoch im konkreten Fall nicht auszugehen. So wird etwa eine allfällige Fehleinschätzung der die Nachoperation durchführenden Ärzte regelmäßig als adäquate Folge einer Aufklärungsverletzung angesehen (7 Ob 233/00s mwN). Die Maßnahmen der die Klägerin nachbetreuenden Ärzte, aus denen der Beklagte ein haftungsbegründendes Fehlverhalten ableiten will, sind adäquate Folgen dessen Fehlverhaltens, der nicht bereits auf Basis des ersten CTG ausreichende Schritte für die Einleitung einer sofortigen Entbindung der Mutter der Klägerin gesetzt hat. Da er somit als Verursacher des Gesamtschadens anzusehen ist, kommt es auch zu keiner Haftungsteilung

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